Viele Personen stellen bei der Betrachtung von Beiträgen zur Bewegungstechnik bei der Kniebeuge in Fachbüchern, auf Internetseiten oder in den sozialen Medien fest, dass die abgebildete Bewegungstechnik anders aussieht als die eigene. Basierend auf dieser Feststellung entsteht häufig die Frage, ob die eigene Kniebeugetechnik möglicherweise falsch ist, da optische Unterschiede zum dargestellten „Idealbild“ der Kniebeuge bestehen. Um diese Sorge zu entkräften, sollen zunächst die biomechanischen Grundlagen sowie individuelle Einflussfaktoren auf die Bewegungstechnik bei der Kniebeuge dargestellt werden.
Biomechanik
Das Kernziel bei der Kniebeuge besteht darin, mit oder ohne Zusatzlast den Körper in die Hocke abzusenken und wieder aufzustehen. Eine grundsätzliche Voraussetzung für den Erfolg dieser Bewegungsaufgabe ist, dass der eigene Schwerpunkt während der gesamten Bewegung immer lotrecht über dem Mittelfuß gehalten wird, da die entstehenden Kräfte über diesen Punkt abgeleitet werden. Verlässt der Schwerpunkt diese gedachte vertikale Linie über dem Mittelfuß in eine Richtung, besteht die Gefahr, dass der Körper in ebendiese Richtung aus dem Gleichgewicht gerät.
Bei der Kniebeuge mit Zusatzlast wird der Gesamtschwerpunkt allerdings nicht nur das eigene Körpergewicht bzw. den Körperschwerpunkt, sondern auch durch Art und Ablageposition der Zusatzlast bestimmt. Denn der Masseschwerpunkt der Zusatzlast muss zusammen mit dem eigenen Körperschwerpunkt über dem Mittelfuß ausgerichtet werden.
Bei korrekter Kniebeugetechnik sollte daher die Kraftwirkungsrichtung der Zusatzlast ebenfalls genau im Lot des Körperschwerpunktes liegen. Die individuellen Teilbewegungen in Sprung-, Knie- und Hüftgelenken resultieren demnach aus dem Versuch, den Schwerpunkt der Zusatzlast und den eigenen Körperschwerpunkt möglichst lotrecht über dem Mittelfuß zu halten, während man in die Hocke geht und wieder aufsteht (Schoenfeld, 2010).
Individuelle Einflussfaktoren
Jede Person besitzt unterschiedliche körperliche Voraussetzungen und Einschränkungen, die zum Teil nicht oder nur stark begrenzt beeinflusst werden können. Daher müssen bei jeder Person auch immer die individuellen Einflussfaktoren auf die Kniebeugetechnik berücksichtigt werden, um selbige bewerten zu können (Myer at al., 2014). Zu diesen Einflussfaktoren zählen unter anderem die Anthropometrie, die Anatomie der Gelenke, die Dehnbarkeit der beanspruchten Muskeln, Sehnen und Faszien sowie die verwendete Ablageposition und der Hanteltyp.
Anthropometrie
Mit der Anthropometrie bezeichnet man die Längenverhältnisse der einzelnen Körperglieder zueinander. Beispielsweise muss eine Person mit langem Oberkörper und kurzen Beinen bei der Ausführung einer tiefen Kniebeuge in der Regel andere Gelenkwinkel in Hüft-, Knie- und Sprunggelenken einnehmen als eine Person mit kurzem Oberkörper und langen Beinen.
Anatomie der Gelenke
Darüber hinaus spielt die individuelle Anatomie der Gelenke eine entscheidende Rolle, da durch individuelle Unterschiede hinsichtlich der Form und Limitationen der interagierenden Knochen (z. B. Gelenkigkeit von Hüfte und OSG) vorgegeben ist. Da sich ebenso wie die Länge der einzelnen Körperglieder auch Form und Aufbau der Gelenke von Person zu Person unterscheiden (Maruyama, Feinberg, Capello & D'Antonio, 2001), was sich nicht durch Training verändern lässt, müssen diese Aspekte als fixe Parameter bei der Identifikation und Vermittlung der individuell optimalen Kniebeugetechnik betrachtet werden.
Dehnbarkeit
Darüber hinaus spielt auch die Dehnbarkeit der betrachteten Person eine Rolle dafür, in welchem räumlichen Ausmaß die beteiligten Muskel-Gelenksysteme bei der Kniebeuge bewegt werden können. Sofern keine knöcherne Limitation der Gelenke vorliegt, ist eine mangelnde Bewegungsreichweite (Range of Motion) bei der Kniebeuge oftmals durch unzureichende Dehnbarkeit bedingt. Demnach lassen sich in der Praxis viele Umsetzungsprobleme hinsichtlich der Kniebeugetechnik in vielen Fällen durch ein adäquates Aufwärmprogramm sowie ein ergänzendes Beweglichkeitstraining beheben.
Ablageposition und Typ der Hantel
Als ergänzende Einflussfaktoren auf die Kniebeugetechnik müssen außerdem die Ablageposition der Hantel sowie der verwendete Hanteltyp betrachtet werden (Glassbrook, Helms, Brown & Storey, 2017). Da durch die Verwendung unterschiedlicher Hantelablagepositionen und Hanteltypen auch der Schwerpunkt der Zusatzlast in seiner Position beeinflusst wird, muss man den Körper während der Kniebeuge auch entsprechend anders zur Last positionieren, um sich mit adäquater Bewegungsqualität in die tiefe Hocke zu bewegen und wieder aufzustehen.
Individuelle Bewegungsanalyse erforderlich
Im Kontext der Sicherheit und Effektivität der Kniebeugetechnik spielen neben der individuellen Anthropometrie und Anatomie, der Beweglichkeit sowie der Art und Ablageposition der Zusatzlast viele weitere Faktoren eine Rolle. Unter anderem sollte immer auch die jeweilige Verletzungshistorie, der Trainingszustand, verwendete Hilfsmittel sowie das Trainingsziel berücksichtigt werden.
In Anbetracht der Vielzahl an Einflussfaktoren sollte vor der Vermittlung oder Korrektur der Kniebeugetechnik immer eine ausführliche Anamnese sowie eine individuelle Bewegungsanalyse durchgeführt werden. Für die Anwendungspraxis ist in diesem Kontext unbedingt zu berücksichtigen, dass es Personen gibt, die aufgrund ihrer individuellen Voraussetzungen schlichtweg nicht in der Lage sind sicher und effektiv eine bestimmte Tiefe zu erreichen oder gewisse Varianten der Kniebeuge auszuführen. Ein Erzwingen der tiefen Position oder die Verwendung einer ungeeigneten Kniebeugevariante wäre in einem solchen Fall als Risiko anzusehen und sollte daher vermieden werden.
Fazit
Eine „optimale Kniebeugetechnik“ die für alle Personen gleichermaßen als Idealbild fungiert, kann aufgrund der hier dargestellten Aspekte nicht existieren, weshalb eine „one size fits all“-Methode bei der Unterweisung der Kniebeuge auf jeden Fall vermieden werden sollte. Die Frage, ob die jeweilige Bewegungstechnik bei der Kniebeuge für die trainierende Person sicher und effektiv ist oder ob diese individuell angepasst werden muss, sollte aufgrund der Vielzahl an relevanten Einflussfaktoren immer von ausreichend qualifiziertem Personal beantwortet werden.
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Literatur:
Glassbrook, D. J., Helms, E. R., Brown, S. R. & Storey, A. G. (2017). A Review of the Biomechanical Differences Between the High-Bar and Low-Bar Back-Squat. Journal of Strength and Conditioning Research, 31 (9), 2618–2634.
Maruyama, M., Feinberg, J. R., Capello, W. N. & D'Antonio, J. A. (2001). The Frank Stinchfield Award: Morphologic features of the acetabulum and femur: anteversion angle and implant positioning. Clinical Orthopaedics and Related Research (393), 52–65.
Myer, G. D., Kushner, A. M., Brent, J. L., Schoenfeld, B. J., Hugentobler, J., Lloyd, R. S. et al. (2014). The back squat: A proposed assessment of functional deficits and technical factors that limit performance. Strength and Conditioning Journal, 36 (6), 4–27.
Schoenfeld, B. J. (2010). Squatting kinematics and kinetics and their application to exercise performance. Journal of Strength and Conditioning Research, 24 (12), 3497–3506.