Die Debatte darum, ob man bei der Kniebeuge die Knie über die Zehen nach vorne bewegen darf, ist wahrscheinlich so alt wie die Übung selbst. Dabei ist diese Bewegung für viele Menschen Voraussetzung für eine biomechanisch optimale Kniebeugetechnik. Möchte man eine technisch korrekte Kniebeuge mit voller Bewegungsamplitude ausführen, so ist es für viele Menschen aus anatomischen bzw. biomechanischen Gründen unmöglich ein Vorschieben der Knie zu verhindern. Geschähe dies nicht, würde die betreffende Person entweder nach hinten umfallen oder eine ungünstige Belastungserhöhung für die hüft- und rückenstreckende Muskulatur generieren.
Genau dieser Umstand wurde in einer Studie von Fry et al. (2003) festgestellt. Während sich die Drehmomente auf das Kniegelenk durch das Schieben der Knie nach vorne nur um 22 % erhöhte, führte eine Begrenzung der Kniebewegung nach vorne im Hüftgelenk sowie im unteren Rücken zu einer Belastungserhöhung um ganze 1070 %. Die Knie sollten sich bei Tiefkniebeugen dementsprechend sogar nach vorne bewegen, um einerseits eine ausreichende Beugetiefe zu erreichen und andererseits zu hohe Belastungen für Hüftgelenk und unteren Rücken zu vermeiden. Personen, die aufgrund eines Knieschadens große Belastungen im Kniegelenk meiden müssen, sollten eher eine Limitierung der Beugetiefe anstreben als die Bewegung des Kniegelenks nach vorne einzuschränken. Trainierende müssen jedoch keine Angst vor dem Erlernen dieser Übung haben. Eine ernsthafte Verletzungsgefahr entsteht bei der Kniebeuge in der Regel nur dann, wenn Sportler versuchen sehr hohe Lasten mit schlechter Bewegungstechnik zu bewegen (Schoenfeld, 2010).
Grundsätzlich kann man bei Komplexbewegungen wie der Kniebeuge nicht pauschal von einer optimalen Bewegungstechnik sprechen, da sich diese immer nach den individuellen Voraussetzungen und körperlichen Gegebenheiten richtet. Aus diesem Grund sollte bei der Entwicklung einer korrekten Kniebeugetechnik immer auf die Verwendung adäquater Lasten sowie die Vermittlung durch kompetentes Trainerpersonal geachtet werden.
Über den Autor:
Patrick Berndt ist Sportwissenschaftler und als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement/BSA-Akademie im Fachbereich Trainings- und Bewegungswissenschaft tätig.
Quellen:
Fry, A. C., Smith, C. A. & Schilling, B. K. (2003). Effect of Knee Position on Hip and Knee Torques During the Barbell Squat. Journal of Strength and Conditioning Research, 17 (4), 629–633.
Schoenfeld, B. J. (2010). Squatting kinematics and kinetics and their application to exercise performance. Journal of Strength and Conditioning Research, 24 (12), 3497–3506.