In Zeiten des Functional Trainings – ungeachtet der nicht trennscharfen Definition dieses Begriffes – fällt bei der Abwägung, ob für ein gesundheitsorientiertes Krafttraining Freihantel- oder Maschinenübungen eingeplant werden sollen, die Entscheidung oftmals pro Freihantelübungen.
Begründet wird die Auswahl über die höhere Funktionalität und den Alltagsbezug der Freihantelübungen. Auf den ersten Blick erscheint es auch als logisch, dass Übungen mit freien Gewichten einen wesentlich höheren Bezug zu Bewegungsmustern im Alltag, Beruf und sowieso im Sport haben. „Funktionalität“ ist aber nicht automatisch gleichzusetzen mit möglichst hoher Komplexität der Bewegungsausführung.
Eine Kraftübung ist nur dann funktionell, wenn sie auf das Trainingsziel ausgerichtet ist und das Trainingsziel muss nicht stets darin bestehen, möglichst alltagsnahe Übungen auszuführen.
Unter Berücksichtigung dieser Interpretation des Begriffes „Funktionalität“ kann es im gerätegestützten Krafttraining durchaus sein, dass eine Maschinenübung mit geführtem (alltagsfremdem) Bewegungsablauf unter bestimmten Voraussetzungen funktioneller ist als eine komplexe Freihantelübung.
So ein Fall wird nachfolgend am Beispiel eines Krafttrainings bei unspezifischen Rückenschmerzen beschrieben:
Reduzieren wir die Problemstellung auf die (nur auf den ersten Blick) simple Frage, welche Übung bei Rückenschmerzen ohne erkennbare schwerwiegende mechanische Ursache besser geeignet ist: das Kreuzheben mit der Langhantel oder eine Back-Extension-Maschine.
Auf den ersten Blick könnte ein Argument für das Kreuzheben sein, dass hier ein funktionelles Training einer ganzen kinematischen Muskelkette („Core-Training“) und ein hoher Alltagstransfer erfolgt (rückengerechtes Hochheben von Lasten). Dieser Gedankengang wäre durchaus logisch, denn eine isolierte Beanspruchung der Rumpfmuskulatur (Back-Extension-Maschine) bedeutet nicht automatisch eine Leistungsverbesserung der gesamten kinematischen Kette.
ABER: Eine funktionelle Kette ist grundsätzlich nur so stark, wie ihr schwächstes Kettenglied.
Bereits 1997 konnte Denner belegen, dass Personen mit Rückenschmerzen in der Regel dekonditionierte Rumpfmuskeln (insbesondere Rumpf-Extensoren) aufweisen. Dekonditionierte und somit insuffiziente Rumpfmuskeln bedeuten, dass der Rumpf nicht nur zum schwächsten, sondern sogar zu einem unfunktionellen Kettenglied in der kinematischen Kette wird.
Eine zu frühe Durchführung komplexer Bewegungsabläufe und Übungen kann dann im Endeffekt zu Überbelastungen des Rumpfes respektive der Wirbelsäule mit einhergehender Verschlimmerung der Schmerzsymptomatik führen. Dies bestätigt eine Untersuchung von Berglund et al. (2015), die belegen konnten, dass Rückenschmerzpatienten mit nicht ausreichend konditionierten Rumpf-Extensoren und subjektiv stark empfundener Schmerzwahrnehmung in dieser Phase des Trainings von komplexen Übungen – und hier wurde das Kreuzheben untersucht – nicht profitieren bzw. sich das Schmerzempfinden sogar verschlechtern kann.
In dieser Phase spielt ein möglichst hoher Alltagstransfer zunächst nur eine untergeordnete Rolle. Das primäre Trainingsziel besteht in der Rekonditionierung der abgeschwächten Rumpf-Extensoren.
Die Übung Back-Extension an der Maschine wäre in dieser Phase sowie bei diesem Trainingsziel in der Tat als funktioneller einzustufen als die Übung Kreuzheben.
Nachdem Muskelinsuffizienzen und muskuläre Dysbalancen ausgeglichen wurden, besteht das Ziel in der nächsten Phase darin, durch den Schwerpunkt auf ein Autostabilisationstraining mit komplexen funktionellen Übungen die Stabilität der Wirbelsäule in allen Bewegungsachsen zu verbessern, um einen Schutzfaktor gegenüber den mechanischen Belastungen im Alltag oder im Beruf zu erzielen.
Im Hinblick auf diese Zielsetzung wäre nun das Kreuzheben aus funktioneller Sicht von Vorteil.
Dieses Szenario zeigt, dass die „Funktionalität“ einer Kräftigungsübung stets unter dem Aspekt der primären Trainingszielsetzung beurteilt werden muss und unter Umständen eine Maschinenübung funktioneller sein kann als eine Freihantelübung.
Gut qualifizierte Fitnesstrainerinnen und -trainer verfügen über ein reichhaltiges Portfolio an gerätegestützten Krafttrainingsübungen (Maschinenübungen, Freihantelübungen, Seilzugübungen) und sind daher in der Lage, situativ die für das primäre Trainingsziel passenden (und somit funktionellen) Übungen für ihre Kunden auszuwählen.
Die Kompetenzen zur zielorientierten Übungsauswahl und Trainingssteuerung im Krafttraining erwerben Trainerinnen und Trainer über die Aufbauqualifikation „Trainer/in für gerätegestütztes Krafttraining“. Die methodische Vorgehensweise inklusive Übungsauswahl bei einem Krafttraining mit Personen, die unter unspezifischen Rückenschmerzen leiden, wird im BSA-Lehrgang „Trainer/in für präventives Rückentraining“ vermittelt.
Literatur:
Berglund, L., Aasa, B., Hellqvist, J., Michaelson, P. & Aasa, U. (2015). Which patients with low back pain benefit from deadlift training? Journal of Strength and Conditioning Research, 29 (7), 1803-1811.
Denner, A. (1997). Die wirbelsäulenstabilisierende Muskulatur chronischer Rückenpatienten. Dekonditionierung versus Rekonditionierung. Manuelle Medizin, 35 (2), 94-102.