Functional Training mit Kettlebells

Der Begriff „Functional Training“ ist in der Fitness- und Gesundheitsbranche seit Jahren fest etabliert. Was sich hinter diesem Begriff verbirgt und welchen Beitrag Kettlebells zur Funktionalität des Trainings beitragen können, erläutert dieser Artikel.

 

Nach wie vor wird die Funktionalität des Trainings bzw. von bestimmten Übungen häufig rein anatomisch-mechanisch betrachtet. Aus dieser Perspektive wäre eine Krafttrainingsübung dann als „funktionell“ einzustufen, wenn sie eine Muskelkontraktion möglichst isoliert und möglichst genau in Richtung des physiologischen Faserverlaufs gegen einen Widerstand ermöglicht.

 

Differenzierte Betrachtung der „Funktionalität“ von Übungen

Bei der beispielhaften Übung „Crunch“, nähern sich Brustbein und Schambein durch die Kontraktion des geraden Bauchmuskels (M. rectus abdominis) genau im Faserverlauf einander an. Folglich wäre die Übung „Crunch“ aus einer anatomisch-mechanischen Sichtweise als „funktionelle“ Krafttrainingsübung zu bezeichnen.

Im Kontext des Trainings zur Verbesserung der Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit muss die Funktionalität von Trainingsinhalten aber differenziert betrachtet werden. „Funktion“ bedeutet im Kontext sportlichen Trainings so viel wie „Sinn und Zweck“. Funktionelles Training ist somit ein zweckorientiertes Training (Boyle, 2011), wobei eine Krafttrainingsübung als „funktionell“ einzustufen wäre, wenn sie berücksichtigt, wie ein Muskel im Kontext von Bewegungen funktioniert. Diese Bewegungen sollten aber nicht isoliert, sondern alltags-, berufs- und sportartspezifisch betrachtet werden.

Wendet man diese funktions- und zweckorientierte Sichtweise auf die Übung „Crunch“ an, so kommt man zwangsläufig zu dem Schluss, dass es im Alltag, Beruf oder Sport kein Bewegungsmuster gibt, bei dem die Wirbelsäule isoliert eine Flexion ausführt. Vielmehr muss der gerade Bauchmuskel in den meisten Situationen mit anderen Muskeln isometrisch kontrahieren, um den Rumpf zu stabilisieren und Kräfte bei komplexen Bewegungen (Heben, Tragen, Drücken usw.) zu übertragen. Aus dieser Sichtweise würde der „Crunch“ als nicht „funktionell“ gelten, da die Übung keinen Bezug zu Bewegungen in Alltag, Beruf oder Sport aufweist.

 

Was ist Functional Training?

Dass ein isoliertes Training der Rumpfmuskulatur zu einer Schmerzreduktion beitragen kann und diese Muskeln isoliert betrachtet kräftigt, wurde belegt (Denner, 1998). Dass man durch solch ein Training leistungsfähiger im Alltag, im Beruf oder im Sport wird, ist empirisch jedoch nicht gesichert. Im Gegenteil: Ein allgemeines Krafttraining führt nicht zwangsläufig auch zu einer Verbesserung der Leistungsfähigkeit bei komplexen Bewegungen. Kraftsteigerungen, die aus einem allgemeinen Krafttraining mit isolierten Bewegungen resultieren, können nur stark eingeschränkt auf komplexe Bewegungsabläufe im Alltag, im Beruf sowie im Sport transferiert werden (Heidel, Novak & Dankel, 2022). Der menschliche Körper funktioniert als Einheit, nicht als Ansammlung autonom arbeitender Muskeln. An dieser Stelle muss die folgende Frage in den Raum gestellt werden: Wenn das Ziel des Trainings darin bestehen soll, die Leistungsfähigkeit im Alltag, im Beruf sowie im Sport zu verbessern, warum sollte man dann ein konventionelles Training absolvieren, das rein auf maschinenbasierten Übungen oder isolierten Bewegungen beruht?

Als Kernaussage der vorangegangenen Ausführungen kann festgehalten werden, dass die Übungsauswahl im Kontext des Trainings zur Verbesserung der Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit in Alltag, Beruf und Sport dann als „funktionell“ eingestuft werden kann, wenn sie spezifisch und zweckorientiert erfolgt. Spezifisch und zweckorientiert heißt, dass typische Bewegungsmuster (Alltag, Beruf, Sport) Berücksichtigung finden.

Abschließend können folgende Aussagen zum Functional Training festgehalten werden:

  • Functional Training zielt nicht auf das Stimulieren einzelner Muskeln, sondern auf das Trainieren spezifischer komplexer Bewegungsmuster (Alltag, Beruf, Sport) ab.
  • Functional Training verfolgt in erster Linie keine ästhetischen Ziele, sondern ist zweckorientiert und zielt auf eine Steigerung der Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit ab.

 

Funktionalität des Kettlebelltrainings

Obwohl das Training mit der Kettlebell (auch Kugelhantel genannt) eine sehr alte Trainingsform darstellt, erfreut sich dieses Training erst seit einigen Jahren einer zunehmenden Popularität. Aufgrund seiner Funktionalität ist das Kettlebelltraining mittlerweile im ergänzenden Kraft- und Athletiktraining vieler Sportarten, insbesondere im Kampfsport weit verbreitet und ein Kernbestandteil des Trainings zur Verbesserung der Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit (Santana & Fukuda, 2011; Jones & Ledford, 2012; La Bounty, Campbell, Galvan, Cooke & Antonio, 2011).

Im Vergleich zu einem eher konventionellen Krafttraining, wie es z. B. in Fitnessstudios üblich ist, wird bei vielen Kettlebellübungen gezielt mit einem Schwungmoment trainiert (ballistisches Training). Dieses muss muskulär erzeugt und kontrolliert werden, weshalb durch die erforderliche Kraftübertragung eine erhöhte Anforderung zur Autostabilisation durch die Rumpfmuskulatur bedeutet. Typische Komplexbewegungen mit Kettlebells, wie beispielsweise Kettlebell Swing (Schwünge), Kettlebell Snatch (Reißen) oder Kettlebell Clean & Jerk (Umsetzen & Stoßen) trainieren Muskelketten, nicht isoliert einzelne Muskeln. Theoretisch können mit der Kettlebell auch eingelenkige Übungen wie mit einer Kurzhantel ausgeführt werden, was allerdings an dieser Stelle aufgrund der vergleichsweise geringen Relevanz nicht weiter berücksichtigt wird.

 

Effektivität des Kettlebelltrainings

Dass das Kettlebelltraining eine sehr gute Alternative zu einem konventionellen Krafttraining darstellt, gilt als gesichert (Harrison, Schoenfeld & Schoenfeld, 2011). In puncto Leistungsverbesserung konnten Manocchia et al. (2010) sowie Manocchia, Spierer, Lufkin, Minichiello & Castro (2013) Verbesserungen der Maximalkraft, der Schnellkraft sowie der Kraftausdauer durch ein Kettlebelltraining verzeichnen. Auch wenn viele Übungen mit der Kettlebell auf den ersten Blick keinen direkten Transfer auf sportartspezifische Bewegungsabläufe vermuten lassen, existieren Forschungsbefunde, die einen Transfer auf Leistungssteigerungen in spezifischen Bewegungsläufen zulassen. Lake und Lauder (2012) untersuchten beispielsweise die Effekte eines Kettlebelltrainings auf die Verbesserung der Maximalkraftleistung bei der halben Kniebeuge sowie auf die vertikale Sprungleistung. Hier zeigten sich signifikante Verbesserungen der Maximalkraft bei der halben Kniebeuge und der vertikalen Sprungleistung. Die durch das Kettlebelltraining erzielten Effekte unterschieden sich zudem nicht signifikant von den Trainingseffekten einer Kontrollgruppe, welche ein Programm mit Sprungkniebeugen zur Verbesserung der Sprungkraft ausführte. Ob das Kettlebelltraining einem klassischen Gewichthebertraining in puncto Effektivität überlegen ist, untersuchten Otto, Coburn, Brown und Spiering (2012). Sie konnten in einer Untersuchung mit vergleichbaren Belastungen Verbesserungen der Maximalkraft, der Sprungkraft sowie Veränderungen der Körperkomposition sowohl durch ein Gewichthebertraining als auch durch ein Kettlebelltraining nachweisen. Bezüglich Sprungkraftverbesserung und Veränderungen der Körperkomposition zeigten sich keine Unterschiede zwischen Gewichtheber- und Kettlebelltraining. Im Hinblick auf die Verbesserungen der Maximalkraft war das Gewichthebertraining dem Kettlebelltraining jedoch signifikant überlegen.

Zusammenfassend stellt das Kettlebelltraining nach Meinung der Krafttrainingsexperten eine überaus sinnvolle Alternative und/oder Ergänzung zu einem eher konventionellen Krafttraining dar (Beardsley & Contreras, 2014; Budnar, Duplanty, Hill, McFarlin & Vingren, 2014; Jonen & Netterville, 2014; Liebenson, 2011). Die in einigen Publikationen zu findenden Aussagen zur eindeutigen Überlegenheit des Kettlebelltrainings gegenüber anderen Trainingsformen oder die Darstellungen der Kettlebell als „Wundermittel“ bei allen möglichen Trainingszielen sind allerdings eher kritisch zu hinterfragen.

 

Fazit

Die Funktionalität des Trainings richtet sich immer nach der Übertragbarkeit der daraus entstehenden Trainingseffekte auf Alltag, Beruf und Sport. Die Übungsauswahl im Functional Training sollte demnach immer spezifisch und zweckorientiert hinsichtlich der individuellen Anforderungen erfolgen. Kettlebellübungen stellen in diesem Kontext eine effektive und nahezu universell einsetzbare Möglichkeit zur Gestaltung eines funktionellen Trainingsprogramms dar. Allerdings sollten diese Übungen idealerweise mit Lang- und Kurzhanteln sowie Übungen mit Seilzügen ergänzt werden, um die jeweiligen Vorteile der verschiedenen Trainingsgeräte auszunutzen und optimale Resultate zu erzielen. Aus diesem Grund sollten Trainerinnen und Trainer eine umfassende Kenntnis über Ausführung und Besonderheiten von funktionellen Übungen mit unterschiedlichen Geräten erwerben, um ihre Kunden bestmöglich betreuen zu können.

 

Weiterbildung Trainer/in für Freihantel- und Kettlebelltraining

Der Lehrgang „Trainer/in für Freihantel- und Kettlebelltraining“ qualifiziert die Teilnehmer, Kunden bzw. Sportler mit unterschiedlichen Trainingszielen sowie unterschiedlichen Leistungsvoraus setzungen bei der Umsetzung eines Freihantel- und Kettlebelltrainings kompetent zu betreuen. Die Teilnehmer erstellen Trainingspläne mit Langhantel-, Kurzhantel- und Kettlebellübungen, konzipieren methodische Übungsreihen zum Technikerwerb komplexer Übungen, führen Übungsunterweisungen durch, identifizieren und korrigieren Bewegungsfehler und leisten bei Bedarf eine sinnvolle Hilfestellung zur Absicherung des Kunden bzw. Sportlers bei der Bewegungsausführung. Bei diesen Tätigkeiten berücksichtigen die Teilnehmer didaktisch- methodische sowie anatomisch funktionelle und biomechanische Aspekte sowie die relevanten Sicherheitskriterien bei einem Freihantel- und Kettlebelltraining.

Weitere Infos: Trainer/in für Freihantel- und Kettlebelltraining