Muskuläres Aufbautraining nach Bandscheibenvorfall

Bandscheibenvorfälle verursachen auch nach Therapieende oft weiterhin Beschwerden. Rehabilitatives Krafttraining kann hier langfristig Linderung verschaffen.

 

Rückenbeschwerden stellen weltweit gesehen die Hauptursache für körperliche Beeinträchtigungen dar (Schwill, 2021, S. 34). Mit fortschreitendem Alter treten besonders degenerative Veränderungen, häufig in Form von Bandscheibenvorfällen, in den Vordergrund. Ein Bandscheibenvorfall liegt vor, wenn der in der Bandscheibe lokalisierte Gallertkern die äußeren Faserknorpelringe durchbricht und austritt. Die Ursachen können sowohl degenerativer als auch traumatischer Natur sein (Adams, 2002; Diemer & Sutor, 2006). Da ungefähr 90 % der Bandscheibenvorfälle im lumbalen Bereich, genau gesagt in den Segmenten L4/L5 und L5/S1 auftreten (Froböse, Nellessen & Wilke, 2003, S. 300), wird im Folgenden der Fokus auf diesen Bereich gelegt.

Epidemiologie und Symptomatik

Das Krankheitsbild des Bandscheibenvorfalles zeigt sich stark altersabhängig. Während die Lebenszeitprävalenz, also die Anzahl der Personen, die bis zum Messzeitpunkt irgendwann in ihrem Leben mindestens einmal einen Bandscheibenvorfall erlitten haben, bei unter 35-jährigen Personen bei 3,5 % liegt, steigt sie bei 45-55-Jährigen auf über 20 % (Mayer & Heider, 2016, S. 427).

Betroffene Personen mit lumbalen Bandscheibenvorfällen leiden zumeist unter lokalen Schmerzen, häufig mit Ausstrahlung in die Beine. In der Folge können zudem Einschränkungen der Beweglichkeit auftreten (Diemer & Sutor, 2011, S. 133). Im Extremfall kommt es zur Parese (Lähmung) von einem oder mehreren Muskeln der betroffenen Extremität.

Therapie und Nachsorge

Die Behandlung dieser Problematik besteht zumeist aus Physiotherapie kombiniert mit medizinischer Trainingstherapie. Nach Abschluss der Therapie ist in der Regel jedoch keine vollständige Ausheilung erreicht, bzw. noch keine Vollbelastung möglich.

Dies macht deutlich, dass nach Abschluss der Therapiemaßnahmen weitere Interventionsmaßnahmen unbedingt erforderlich sind. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass langfristig gute Ergebnisse durch Training erzielt werden können (Gaowgzeh, Chevidikunnan, BinMulayh & Khan, 2020; Hahne, Ford & McMeeken, 2010).

Vor der Aufnahme des Trainings sollte der Kunde entzündungsfrei und die medizinische Heilbehandlung abgeschlossen sein. Außerdem sollte der Kunde soweit schmerzfrei sein, dass ein Training ohne größere Einschränkungen durchführbar ist.

Krafttraining nach lumbalem Bandscheibenvorfall

Zur Stabilisation der Wirbelsäule empfiehlt sich im Bereich des rehabilitativen Krafttrainings folgende methodische Vorgehensweise (Diemer & Sutor, 2011, S. 174–177).

Im Mittelpunkt des ersten Schrittes steht die statische Kontrolle der Lendenwirbelsäulenlordose bei optimaler Stabilität der einzelnen Wirbelsäulensegmente. Man spricht hier auch von Autostabilisationstraining. Es kommen dabei Übungen zum Einsatz, bei denen die statische Stabilität der Lendenwirbelsäulenlordose in allen Bewegungsebenen, also der Sagittal-, Frontal- und Transversalebene, gefordert ist. Um dieses Ziel zu erreichen, sind besonders das Training an Seilzügen sowie das Freihanteltraining geeignet. Die Belastungsgestaltung sollte so gestaltet werden, dass mit niedrigen Intensitäten und relativ langen Belastungszeiten begonnen wird. Im weiteren Verlauf kann eine kontinuierliche Progression der Intensität in Abhängigkeit des Schmerzempfindens des Kunden erfolgen.

Automobilisation nach Autostabilisation

Der Übergang zum zweiten Schritt sollte erfolgen, wenn der Kunde über eine ausreichende Autostabilisationsfähigkeit verfügt. Da ausschließlich statische Belastungen nicht ausreichen, um die Wirbelsäule ausreichend für alltägliche und arbeits-, bzw. sportartspezifische Bewegungen zu stabilisieren und zudem die Bandscheibenernährung zu fördern, werden daher im nächsten Schritt dynamische Belastungen der rumpfstabilisierenden Muskelgruppen empfohlen. Diese Belastungen sollten im schmerzfreien Bereich über und mit möglichst großer Bewegungsamplitude durchgeführt werden.  Die wirbelsäulenstabilisierende Muskulatur sollte dabei in allen Ebenen segmental beansprucht werden. Während dieses Schrittes empfiehlt sich eine Isolation der zu trainierenden Muskelgruppen (Diemer & Sutor, 2011, S. 175). Dabei werden spezielle Krafttrainingsmaschinen verwendet, die auf Grund ihrer spezifischen Konstruktion eine annähernde Isolation der Zielmuskulatur erreichen.

Das Training der Automobilisation sollte im bradytrophen Bereich beginnen, das heißt der Belastungszeitraum pro Serie sollte über zwei Minuten sein. Im weiteren Verlauf erfolgt ein Übergang zu Kraftausdauer-, Hypertrophie, bis hin zum neuromuskulären Training. Die letzte Stufe stellt das arbeits- und sportartspezifische Training dar. Das Ziel dieser Stufe ist die Integration der zuvor erworbenen Kraftqualitäten gezielt in alltags-, berufs- und sportartspezifische Bewegungsmuster zu integrieren.

Fazit:

Lumbale Bandscheibenvorfälle stellen ein häufig auftretendes Krankheitsbild dar, das zu verschiedenen Problemen von Schmerzen über Belastungs- und Bewegungseinschränkungen bis hin zu Lähmungserscheinungen führen kann. Nach Abschluss der Therapiemaßnahmen sind diese Problematiken in den meisten Fällen noch nicht ausreichend behandelt. Da durch ein anschließendes Krafttraining den zuvor beschriebenen Problemen häufig gut entgegengewirkt werden kann, stellt das rehabilitative Krafttraining eine der wichtigsten weiterführenden Maßnahmen dar.

Der Lehrgang „Trainer/in für rehabilitatives Krafttraining“ qualifiziert die Teilnehmenden im praktischen Umgang mit verschiedenen indikationsspezifischen Krafttrainingsübungen an Seilzügen, mit freien Gewichten sowie mit Maschinen bei ausgewählten orthopädischen Beschwerdebildern nach Abschluss der medizinischen Heilbehandlung. Sie sind in der Lage, unter Berücksichtigung biomechanischer Aspekte sowie des vorliegenden Beschwerdebilds die Charakteristik der verschiedenen Übungskategorien gegeneinander abzuwägen, geeignete problemspezifische Übungen auszuwählen und dem Kunden den korrekten Umgang mit den Seilzug-, Freihantel- und Maschinenübungen zu vermitteln.

 

Literatur:

  1. Adams, M. A. (2002). The biomechanics of back pain (Reprinted). Edinburgh: Churchill Livingstone.

  2. Diemer, F. & Sutor, V. (2006). Praxis der medizinischen Trainingstherapie. Stuttgart: Thieme.

  3. Diemer, F. & Sutor, V. (2011). Praxis der medizinischen Trainingstherapie (2., überarb. Aufl). Stuttgart: Thieme.

  4. Froböse, I., Nellessen, G. & Wilke, C. (2003). Training in der Therapie. Grundlagen und Praxis. Stuttgart: Urban & Fischer

  5. Gaowgzeh, R. A. M., Chevidikunnan, M. F., BinMulayh, E. A. & Khan, F. (2020). Effect of spinal decompression therapy and core stabilization exercises in management of lumbar disc prolapse: A single blind randomized controlled trial. Journal of back and musculoskeletal rehabilitation, 33 (2), 225–231. https://doi.org/10.3233/BMR-171099

  6. Hahne, A. J., Ford, J. J. & McMeeken, J. M. (2010). Conservative management of lumbar disc herniation with associated radiculopathy: a systematic review. Spine, 35 (11), E488-504. https://doi.org/10.1097/BRS.0b013e3181cc3f56

  7. Mayer, H. & Heider, F. (2016). Der lumbale Bandscheibenvorfall. Orthopädie und Unfallchirurgie up2date, 11 (06), 427–447. https://doi.org/10.1055/s-0042-105603

  8. Schwill, C. (2021). Rückenschmerzen in der Hausarztpraxis : Der spezifische Rückenschmerz. Der Internist, 62 (1), 34–46. https://doi.org/10.1007/s00108-020-00919-5